Im Januar
1990 sammelte ich in meiner Werkstatt, die voller Reste von Abfällen
von VENTI (äolische
Installation für zwanzig Objekte und vierzig Spieler) war, zur
Erholung von einer problematischen Veranstaltung in der Berliner Nationalgalerie,
ein Assemblage von Metallstäben und Resonatoren zusammen und schenkte
das daraus entstandene Objekt, das ich „die Lyra des Äolus“
nannte, Gerd Rische, einem Berliner Freund und treuen Anhänger
meiner konstruktiv-musikalischen Linie.
Trotz meiner ursprünglichen Absicht, die ich in einer kurzen Widmung
festschrieb, das Stück nie in der Öffentlichkeit vorzustellen,
fand ich später eine mögliche Interpretation der Idee –
wie es oft, und nicht nur in der Musik, der Fall ist – in Untreue
zur Idee selbst. So entschloss ich mich, dieses Objekt zu vervielfältigen
und als eine informelle Hommage an eine klassische Form der Musik, das
Streichquartett, auf die Bühne zu bringen.
Eine Nemesis fast: eine entsprechende Untreue musste ich gegen das Material
und sein kompliziertes physikalisches Benehmen begehen, sind diese Stäbe
doch ein sehr undiszipliniertes und inharmonisches Volk (ein Beispiel:
berührt man einen Stab an einem Punkt auf Drittel seiner Länge,
so bekommt man keineswegs die Quinte des Grundtones, wie es bei zivilisierten
Saiten der Fall ist, sondern, sollte der Stab gut gelaunt sein, mit
etwas Glück eben mal die Oktave), mit dialektischem Trotz entschloss
ich mich, für das Stück, durch Referenzen an die mittelalterliche
Tradition, Verwendung von kontrapunktischen Verfahren, INVERSIO, DIMINUTIO,
ISORHYTHMIE, TALEA, usw. und, zumindest im ersten Satz, eine total phantasielose,
traditionelle Notation, eine strukturell-definierte Form zu benutzen.
Eine Analogie der klassischen Form des Streichquartetts findet sich
auch in der Einteilung in vier Sätze (Allerdings werden die vier
Sätze ohne Unterbrechung aneinander gereiht) und in der inneren
Gestalt, der Konstitution der einzelnen Sätze, ist doch zum Beispiel
der Zweite eine Pizzikatosatz-Paraphrase, der Dritte ein „Lyrisches
Adagio“!
Wie in einem anderen Stück, QUODLIBET,
das ich im weit zurückliegenden August 1964 komponierte, lasse
ich teilweise, so es für die rhythmische Zusammensetzung mancher
Momente notwendig, die vier Spieler abwechselnd aus der Dirigierpraxis
genommene, in der Partitur genau notierte Gesten anwenden.
Der progressive Zerfall der Notation spiegelt sich im kompositorischen
Verfahren, der zunehmenden Auflockerung der strukturellen Strenge und,
in weiterer Parallele, wird durch Einsatz von Pressluft und Reibungstönen
das Stück in einer äolischen Stimmung zu Ende geführt.